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dpa-AFX: ROUNDUP: Fraunhofer-Institut zerpflückt E-Auto-Mythen

KARLSRUHE (dpa-AFX) - Wer kein Elektroauto fahren will, findet bei einer
schnellen Internetsuche viele Ausreden. Teuer und in Wahrheit schlecht fürs
Klima, heißt es dort teilweise. Und brennen die nicht? Doch eine aktuelle
Übersicht des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in
Karlsruhe zeigt nun: Die große Mehrheit der Wissenschaft kommt zu einem anderen
Urteil - und es fällt recht deutlich zugunsten der Stromer aus.

"Generell gibt es in Deutschland noch eine relativ hohe Skepsis gegen das
Elektroauto", sagt Studienautor Martin Wietschel, der am ISI die Abteilung
Energietechnologien und Energiesysteme leitet. "Viele Gründe dafür können wir
aus wissenschaftlicher Perspektive aber nicht nachvollziehen." Mehr als 70
Studien und andere wissenschaftliche Quellen haben er und seine Mitautoren
ausgewertet, um aus wissenschaftlicher Perspektive den Sachstand
zusammenzufassen. Es ist die Neuauflage eines ähnlichen Überblicks aus dem Jahr
2020. "Seither hat sich viel getan, gerade bei den Batterien", sagt der Experte.
Das stärke die Position des Elektroautos.

Die Klimabilanz

"Bei den Treibhausgasemissionen gehen die Einschätzungen nicht mehr so weit
auseinander wie früher", sagt Wietschel. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung
von der Herstellung bis zur Entsorgung attestieren die Forscher einem heute in
Deutschland gekauften Mittelklasse-Stromer bei durchschnittlicher Fahrleistung
rund 40 bis 50 Prozent weniger Treibhausgas-Ausstoß als einem vergleichbaren
Verbrenner. In der Herstellung kommen die Stromer demnach zwar je nach
Energiequelle, Energieeffizienz der Produktion und der Batteriegröße auf
Treibhausgasemissionen, die um 60 bis 130 Prozent höher sind als bei
Verbrennern. Beim Fahren ist der CO2-Ausstoß dann aber deutlich geringer. Geht
man vom deutschen Strommix und einem Anhalten der Energiewende aus, kommt man
auf lange Sicht zum oben genannten Vorteil.

Allerdings verschweigen die Forscher auch nicht, dass es Ausnahmen gibt:
"Wird ein schweres, wenig effizientes E-Fahrzeug mit großer Batteriekapazität
und geringer jährlicher Fahrleistung bilanziert, welches generell nur mit dem
derzeitigen deutschen Strommix lädt, so ist die Treibhausgasbilanz kaum besser
gegenüber einem entsprechenden konventionellen Fahrzeug." Allerdings stellt sich
die Frage, wie häufig das Beispiel eines großen Autos mit großer Batterie und
geringer Fahrleistung in der Realität ist.

Und mit einem Voranschreiten der Energiewende und damit grünerem Strom werde
der Vorteil der Stromer größer, heißt es. Ebenso dann, wenn schon jetzt vor
allem mit erneuerbarem Strom geladen werde - durch gesteuertes Laden zum
richtigen Zeitpunkt oder bei den derzeit knapp 50-Prozent der E-Fahrzeugnutzer,
die eine eigene Photovoltaik-Anlage haben.

Die wirtschaftliche Bilanz

"Schon heute kann ein Elektroauto günstiger sein als ein Verbrenner, wenn
Sie auf die kompletten Kosten schauen - nicht nur auf den in der Regel höheren
Anschaffungspreis", sagt Wietschel. "Wir gehen dabei von Neuwagen aus, mit
billigeren Gebrauchtwagen könnte das noch deutlicher zugunsten des Elektroautos
ausfallen."

Insgesamt kommt es aber auf verschiedene Faktoren an, unter anderem darauf,
wo und wie man lädt. Habe man zu Hause oder am Arbeitsplatz eine
Lademöglichkeit, "dann können E-Fahrzeuge bereits nach drei Jahren Haltedauer
wirtschaftlicher sein als vergleichbare Verbrenner", heißt es in der Studie.
Insgesamt spricht sie von schon heute ähnlichen Kilometerkosten bei
durchschnittlichen Fahrleistungen in der Mittelklasse. "Die derzeit noch höheren
Anschaffungskosten werden durch die geringeren laufenden Kosten ausgeglichen."
Die beziehen sich dabei nicht nur auf die billigere Energie, sondern auch auf
niedrigere Instandhaltungskosten.

Und auch hier kann es noch besser werden: Einerseits gehen die Forscher von
sinkenden Preisen für die Elektroautos und besseren und günstigeren Batterien
aus. Andererseits bringt bidirektionales Laden nicht nur etwas für die Umwelt,
sondern auch für den Geldbeutel. Die Möglichkeit, dass das Auto Energie aufnimmt
und später wieder ins eigene Haus oder sogar ins Netz abgibt, könne ein starker
weiterer Schub für die Wirtschaftlichkeit sein, sagt Wietschel. "Im Idealfall
kann man dadurch bis zu 1000 Euro im Jahr sparen. Und auch für die Umwelt wäre
das gut, weil beispielsweise Sonnenstrom dann besser genutzt werden kann."

Sorgen, dass die Batterien des Autos dadurch schneller kaputtgehen könnten,
halten die Forscher für unberechtigt. "Und spätestens in ein paar Jahren werden
wir wahrscheinlich ohnehin den Punkt erreichen, bei dem die Batterie deutlich
länger hält als der Rest des Autos", sagt Wietschel. Noch gebe es wenige Autos,
mit denen bidirektionales Laden möglich sei, schränkt er allerdings ein. "Was
schon jetzt funktioniert ist gesteuertes Laden am Smart Meter. Auch das
verbessert Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Denn der Strom ist
meistens dann am billigsten, wenn er auch am umweltfreundlichsten ist - und die
Preisunterschiede sind teilweise enorm. Selbst wenn man die Batterie nur halb
vollmacht, sind schnell 10 Euro gespart."

Feuer

Auch dieses Thema kommt im Zusammenhang mit Elektroautos immer wieder hoch.
Das Urteil der Forscher ist aber klar: "Vergleicht man die Häufigkeit von
Bränden von Elektro-Pkw mit den von konventionellen Pkw ist nach heutigem Stand
nicht von einer höheren Brandgefahr auszugehen", schreiben sie. "Es gibt sogar
eine Reihe an aktuellen Studien, die bei reinen Batteriefahrzeugen von einer
deutlich geringeren Brandgefahr ausgehen." Allerdings sei die Datenlage hier
noch eher dünn.

Andere Umweltbelastungen

Hier schneiden die Elektroautos teils etwas schlechter ab. In einigen
Bereichen liegen sie dabei hinter Verbrennern. Eines davon ist Feinstaub. Das
mag auf den ersten Blick überraschen, bringt man damit doch vor allem ältere
Diesel in Verbindung, doch inzwischen ist hier bei Neuwagen nicht mehr der
Motor, sondern der Reifenabrieb die entscheidende Größe. Und dabei ist das
höhere Gewicht der Stromer ein Nachteil. Allerdings gebe es Entwicklungen in der
Reifentechnologie, die hier helfen könnten, schreiben die Autoren.

"Es gibt umweltfreundlichere Arten, sich fortzubewegen als ein Elektroauto",
fasst Wietschel zusammen. "Aber ein Elektroauto ist immer noch klar
umweltfreundlicher als ein vergleichbarer Verbrenner."/ruc/DP/zb

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