Nachrichten

dpa-AFX: ROUNDUP: Wachsende US-Schulden machen globale Finanzbranche nervös

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Die schnell steigende US-Staatsverschuldung beunruhigt
die internationalen Kapitalmärkte. Viele Finanzfirmen und Ökonomen sehen
wachsendes Misstrauen gegen den fiskalpolitischen Kurs der USA. Dazu zählen etwa
die US-Investmentbank Goldman Sachs , der zur Deutschen Bank
gehörende Vermögensverwalter DWS , die italienische Bank Unicredit
oder die bundeseigene Förderbank KfW. Zwar geht niemand davon
aus, dass in nächster Zukunft eine US-Staatsschuldenkrise droht, manche
Finanzfirmen wie die Munich Re sehen die USA nach wie vor als
sicheren Hafen für Investoren. Doch zunehmend halten Beobachter eine größere
Krise bereits in wenigen Jahren für nicht ausgeschlossen.

Spielraum für Fehler wird kleiner

"Die USA haben zwar noch Spielraum für Anpassungen, aber der Spielraum für
Fehler wird immer kleiner", warnt Christian Scherrmann, der für die USA
zuständige Ökonom der DWS. "Verzögerungen erhöhen das Risiko einer nichtlinearen
Finanzkrise, in der das Vertrauen der Märkte plötzlich schwindet." "Nichtlinear"
ist der vornehme Ausdruck dafür, dass große Krisen seit jeher zu
unvorhergesehenen Zeitpunkten kommen.

Verdopplung der Schulden seit 2015

Innerhalb von gut zehn Jahren hat sich die US-Verschuldung verdoppelt: von
18,2 Billionen Dollar im Jahr 2015 auf derzeit 36,6 Billionen, wie auf der
Webseite des US-Finanzministeriums nachzulesen. Die Haushaltsbehörde des
US-Kongresses geht davon aus, dass das jüngst von US-Präsident Donald Trump
verabschiedete Gesetz "One Big Beautiful Bill" die US-Schulden bis 2034 um
weitere drei Billionen Dollar erhöhen könnte.

Zinszahlungen von einer Billion Dollar pro Jahr in Sicht

Dementsprechend wächst die Zinslast. In diesem Jahr wird die US-Regierung
voraussichtlich 794 Milliarden Dollar an ihre Gläubiger berappen. In nicht allzu
ferner Zukunft könnten die Zinszahlungen die Schwelle von einer Billion Dollar
pro Jahr überschreiten. "Es bestehen wenig Zweifel, dass als Konsequenz des
Gesetzes der Schuldenberg der USA weiter rasant wachsen wird", sagt
KfW-Chefökonom Dirk Schumacher.

Die US-Investmentbank Goldman Sachs - eine Großmacht der globalen
Finanzbranche - glaubt zwar nicht, dass die "Big Beautiful Bill" die
US-Staatsverschuldung dramatisch erhöhen wird. Doch das Haushaltsdefizit der USA
mit derzeit fünf bis sechs Prozent ist bereits jetzt so hoch, dass die Fachleute
der Bank besorgt sind. Die längerfristigen fiskalischen Aussichten der
Vereinigten Staaten seien in einer "nicht haltbaren Position", warnte der
hauseigene Volkswirt Alec Phillips jüngst in einer Veröffentlichung.

US-Inflation von 20 bis 25 Prozent im nächsten Jahrzehnt?

Der prominente Ökonom Kenneth Rogoff - ehemaliger Chef des Internationalen
Währungsfonds - erwartet in den nächsten fünf bis sieben Jahren eine
schuldenbedingte US-Inflationskrise mit einer Teuerungsrate von 20 bis 25
Prozent, wie der Wissenschaftler in einem kürzlich erschienen Buch ("Our Dollar,
Your Problem") und mehreren Interviews prophezeite.

Unicredit: "Kleine Episoden" könnten große Folgen haben

Die italienische Großbank Unicredit machte sich in einem Newsletter bereits
öffentlich Gedanken über mögliche "subtile" Formen, die US-Zahlungsausfälle
annehmen könnten. Eine Zahlungsunfähigkeit der USA nach hergebrachtem Muster
schließt auch die Unicredit aus. Doch versehen war die Botschaft mit dem
Hinweis, dass die Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung bereits achtmal ihre
Schuldenlast mit "unorthodoxen Mitteln" reduziert hätten. "Angesichts der Größe
des Markts für US-Staatsanleihen könnten bereits kleine und kurzfristige
Episoden global massive finanzielle Auswirkungen haben", schrieb Edoardo
Campanella, Leiter der Unicredit-Denkfabrik "Investment Institute".

"Misstrauensbeweis" gegen US-Geldpolitik

Der in der deutschen Finanzszene bekannte DWS-Fondsmanager Thomas Schüßler
sieht schwindendes Vertrauen in die USA. Er weist auf drei Faktoren hin: die
hohe Verzinsung langfristiger US-Staatsanleihen von derzeit etwa 4,3 Prozent,
die Abwertung des Dollar in den vergangenen Monaten und den stark gestiegenen
Goldpreis - letzteres ein traditionelles Indiz, dass Anleger einen sicheren
Hafen suchen. Diese drei Faktoren in Kombination nennt Schüßler "den ultimativen
Misstrauensbeweis gegen die amerikanische Geldpolitik".

Die DWS geht zwar nicht davon aus, dass die Verzinsung zehnjähriger
US-Staatsanleihen im Laufe der kommenden zwölf Jahre kräftig steigen wird.
Anleiheexperte Oliver Eichmann hält jedoch nicht für ausgeschlossen, dass
verunsicherte Anleger einen Bogen um US-Papiere machen: "Eine größere Bewegung
aus US-Staatsanleihen hinein in andere Anleihemärkte, würde ich sagen, ist ein
größeres Risiko."

Nicht alle sehen schwarz

Optimisten sind derzeit in der Minderheit, aber nicht ausgestorben.
Vergleichsweise unbesorgt wirkt der Rückversicherer Munich Re, der in der
Finanzbranche traditionell als vorsichtiges Unternehmen gilt. "Das Risiko,
US-Staatsanleihen zu halten, besteht in der Fähigkeit und Bereitschaft des
US-Finanzministeriums, die Schulden zurückzuzahlen", sagt Nicholas Gartside, der
Chief Investment Officer des Münchner Dax -Konzerns. "Diese beiden
Faktoren stehen absolut außer Frage. US-Schulden bleiben ein sicherer Hafen."

Die aktuelle Dollar-Schwäche führt der Spitzenmanager nicht auf den Anstieg
der US-Verschuldung zurück: "Andere Faktoren wie die Zinsdifferenz zu anderen
Ländern und die relativen Wachstumserwartungen sind viel wichtiger. So sind
beispielsweise seit Anfang 2025 die Wachstumserwartungen für die USA niedriger
und für die Eurozone höher."

Niedergang der USA als Weltmacht in Sicht?

Jenseits der Finanzbranche nehmen manche Denker bereits das ganz große Ganze
in den Blick. Zu diesen zählt der an der US-Eliteuniversität Harvard lehrende
Historiker Niall Ferguson. Der Professor ist Fachmann für die Geschichte des
Geldes und stellte in einem Gespräch bei Goldman Sachs kürzlich ein
"Ferguson-Gesetz" auf: Großmächte, die mehr Geld für die Zahlung ihrer Zinsen
als für das Militär ausgeben müssen, sind demnach zum Niedergang verurteilt.

Der Etat des US-Militärs in diesem Jahr beläuft sich auf 956 Milliarden
Dollar und könnten somit bald von den Zinszahlungen übertroffen werden. "Die
Geschichte ist voll mit Beispielen von Supermächten, die mehr für den
Schuldendienst ausgaben als für die Verteidigung, und in der Folge dann weder
super noch mächtig waren", sagte Ferguson./cho/DP/zb

Daten bereitgestellt von .