Lesen Sie im Marktfocus die fundierten Einschätzungen und Analysen zu aktuellen Entwicklungen in der Weltwirtschaft von Carsten Brömstrup, dem Vorsitzenden des OLB Investmentausschusses. Im Trendfocus finden Sie außerdem Informationen, Expertenwissen und Antworten auf Fachfragen rund um Wertpapiere und Finanzmärkte.
Marketingmitteilung
OLB Marktfocus
Ausgabe vom 5. Oktober 2023
Von Zinsgipfeln und Konjunkturtälern
Der deutschen Konjunktur fehlt es weiter an Wachstumsimpulsen. Immerhin konnten die Nominallohnzuwächse im zweiten Quartal 2023 erstmals seit über einem Jahr die Verbraucherpreisinflation ausgleichen. Angesichts der nur langsam rückläufigen Inflation bleibt der Reallohnzuwachs jedoch verhalten, und die Erholung des privaten Verbrauchs verzögert sich. Entsprechend deuten sowohl Einzelhandelsumsätze als auch Konsumklimabefragungen derzeit allenfalls eine leichte Erholung an, aber keine durchgreifende Dynamik.
Auch bei anderen Gegenwinden, die die Konjunktur derzeit bremsen, zeichnet sich vorerst kein Abflauen ab. Bei ausbleibenden stützenden wirtschaftspolitischen Impulsen leidet die Produktion in den energieintensiven Industrien anhaltend unter hohen Energiepreisen; zudem ist die Produktion im Baugewerbe angesichts weiterer Zinserhöhungen der EZB und zunehmender Finanzierungskosten der Bauträger abwärtsgerichtet. Entsprechend entwickelt sich die Produktion im gesamten produzierenden Gewerbe derzeit allenfalls seitwärts; die Produktion im Dienstleistungssektor zeigte nach einer stetigen Aufwärtsentwicklung seit Jahresanfang zuletzt ebenfalls eine leichte Korrektur. Auch außenwirtschaftliche Impulse, insbesondere aus China und den USA, fehlen derzeit der deutschen Exportwirtschaft.
Fazit: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten in einer Rezession befindet, ist mit den Daten aus dem September nochmals leicht gestiegen (so Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung/IMK, der Hans-Böckler-Stiftung, 19. September 2023). Auch die ifo-Konjunkturampel zeigt eine nur sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass es in Kürze zu einer Besserung der Konjunktur in Deutschland kommen könnte (siehe Grafik).
Die Erholung wird aller Voraussicht nach auch 2024 noch relativ „blutleer“ verlaufen. Die Weltwirtschaft, an deren Tropf Deutschland bekanntlich hängt, wird nach Einschätzung der OECD nächstes Jahr ebenfalls noch schwächeln, die Inflation zudem weiterhin relativ hoch bleiben. Nach aktuellen Schätzungen dürfte die globale Wirtschaftsleistung 2023 noch um 3,0 % zulegen, 2024 aber nur noch um 2,7 %.
In den USA ist die Situation ein wenig anders, da dort Investitionen noch kräftig mit Subventionen gefördert werden. Es deutet daher einiges darauf hin, dass die USA eine softe Landung der Konjunktur hinbekommen wird („soft-landing“), bei jedoch relativ hoher Inflation, die weiterhin über dem Zielwert der Notenbanken von 2 % liegt. Das Dilemma für die US-Notenbank Fed ist dabei klar: Sie muss über höhere Zinsen die Inflation unter Kontrolle zu halten, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Es gibt einfachere Unterfangen, wirken sich Zinserhöhungen doch erst mit 12 bis 18 Monaten Verspätung bremsend auf die Ökonomie aus.
So legte die Fed zunächst erneut eine Zinspause ein: Sie ließ den Leitzins am 20. September unverändert auf der Spanne von 5,25 % bis 5,50 %. Der Schritt war von Ökonomen weitgehend erwartet worden. Ihren weiteren Kurs hält sich die mächtigste Notenbank der Welt indes offen. So könnte sie die Zinsen bei der nächsten Sitzung Anfang November (01.11.) oder im Dezember (13.12.) erneut anheben. „Die Inflation ist nach wie vor hoch“, betonte die Fed in ihrem Statement. Zwar zeige der Arbeitsmarkt leichte Schwächen, doch die US-Wirtschaft sei weiterhin stark. Daher erwarten die Geldpolitiker, dass die Zinsen im kommenden Jahr weniger sinken könnten als bislang angenommen. Das geht aus den neusten wirtschaftlichen Projektionen der Geldpolitiker hervor. Demnach könnte die Fed die Zinsen 2024 zweimal um je einen Viertel-Prozentpunkt senken. Der Zeitpunkt wird nun eher in der zweiten Jahreshälfte 2024 gesehen. In ihren vorherigen Prognosen aus dem Juni 2023 waren sie noch von einem ganzen Prozentpunkt ausgegangen.
Die grüne Linie in der folgenden Grafik zeigt an, wie die US-Notenbank Fed den Leitzinspfad (Fed Funds) aktuell bis 2026 und längerfristig einschätzt. Jeder gelbe Punkt markiert die Einschätzung eines Mitgliedes der US-Notenbank. Zurzeit sind 19 Mitglieder stimmberechtigt.
Die Notenbanker erwarten weiterhin, dass die Inflation in den USA im nächsten Jahr unter 3 % fallen und 2026 wieder das Zielniveau von 2 % erreichen wird. Die Prognosen für das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr liegen bei 1,5 %. Für 2023 rechnet die Fed mit einem Plus von 2,1 %.
Gerade die steigenden Ölpreise könnten jedoch für neue Komplikationen sorgen. Wegen Produktionskürzungen in Russland und Saudi-Arabien sind die Preise für Rohöl seit Anfang Juli um gut 25 % gestiegen. Das war ein wesentlicher Grund dafür, warum die Inflation im Juli und August wieder anzog. Einige Ökonomen fürchten daher eine mögliche zweite Welle der Inflation.
„Der Prozess, die Inflation auf 2 % zu bringen, ist noch lange nicht abgeschlossen“, stellte Notenbank-Chef Jerome Powell jüngst klar. Er wolle die steigenden Ölpreise und deren Effekte auf die Wirtschaft genau beobachten. Sollten sie „für eine Weile hoch bleiben, kann sich das auf die Verbraucher und auf die langfristigen Inflationserwartungen auswirken“, gab er zu bedenken. Allerdings werde die Fed sich von kurzfristigen Ausschlägen nicht beeinflussen lassen. Die Währungshüter bevorzugen die sogenannte Kerninflation, bei der volatile Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden. Ökonomen verweisen jedoch darauf, dass sich steigende Energiepreise auch auf andere Güter und Dienstleistungen auswirken werden.
Jerome Powell verwies zudem auf eine „Reihe von Risiken“ für die US-Wirtschaft. Dazu gehöre auch ein neuer Haushaltsstreit in Washington zwischen Demokraten und Republikanern, der zu einem sogenannten „shutdown“ (Schließung) von staatlichen Behörden führen könnte, sowie der Streik der Autogewerkschaft UAW, der gerade die Produktion bei General Motors, Ford und Stellantis (u. a. FIAT, Chrysler) behindert.
Die ökonomischen Effekte daraus seien „derzeit noch nicht absehbar“, betonte der Fed-Chef. Die gute Nachricht sei, dass die US-Wirtschaft diesen Risiken mit „deutlichem Schwung“ begegne. Das unterscheidet die US-Konjunktur von der europäischen. Ein Grund, warum der US-Dollar gegenüber dem Euro derzeit zur Stärke tendiert.
Ende des globalen Zinserhöhungszyklus spricht für Anleihen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt: ausgewogen investieren
Wir haben es geschildert: Die Konjunktur in Europa und China schwächelt, während sie in den USA sehr solide ist. Die jüngsten Konjunkturindikatoren, einschließlich der nachlassenden Inflation, der Abkühlung am Arbeitsmarkt sowie einer insgesamt positiven Berichtssaison im ersten Halbjahr 2023, erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer sanften Landung der US-Wirtschaft. Die Inflation ist zwar leicht rückläufig, aber global zu hoch und hält sich hartnäckig über dem von den Notenbanken angestrebten 2-Prozent-Ziel. Die Notenbanken adressieren dieses und halten die Renditen und Zinsen dementsprechend auf hohem Niveau, was Anleger durchaus erfreuen könnte. Die Aktienmärkte zeigen sich kurzfristig jedoch verunsichert. Höhere Zinsen könnten die Unternehmensgewinne belasten.
Die Prognosen der Fed könnten sich unseres Erachtens aber auch schnell wieder ändern. Bei einer über Erwarten rückläufigen Inflation und einem niedrigeren Beschäftigungswachstum in den USA rechnen wir mit einer deutlich moderateren Haltung der US-Zentralbank. Andere wichtige Zentralbanken bestärken uns in unserer Überzeugung, dass ein Ende des weltweiten Zinserhöhungszyklus kurz bevorsteht. Sowohl die Bank of England als auch die Schweizerische Nationalbank überraschten die Märkte, da sie in ihren letzten Sitzungen von Zinserhöhungen absahen. Die Europäische Zentralbank hatte die Zinsen zwar angehoben, dabei aber deutlich signalisiert, dass dies wahrscheinlich der letzte Schritt war.
Wir nähern uns nun dem 4. Quartal des Jahres 2023 und sind der Meinung, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für Anleger ist, ihre Portfolios über verschiedene Anlageklassen hinweg zu streuen, da wir mit Blick auf die nächsten sechs bis zwölf Monate davon ausgehen, dass die Notenbanken die Zinsen wieder senken werden, ja senken müssen. Die aktuell hohen Anleiherenditen und das konsolidierende Umfeld für Aktien, das in Zukunft von den Themenkomplexen wie Künstliche Intelligenz oder Erneuerbare Energien profitieren dürfte, sollte Anleger bei einer ganzen Reihe von Anlageklassen passable Erträge liefern. Während die derzeit hohen Geldmarktsätze in den nächsten zwölf Monaten unseres Erachtens sinken werden, dürften Anleihen und Aktien in den nächsten fünf Jahren stabilere Erträge liefern. So prognostiziert unser Research-Partner, die Schweizer Großbank UBS, für Barmittel in den nächsten fünf Jahren kumulierte Renditen von nur 5 % bis 14 %, gegenüber kumulierten Renditen von 15 % bis 25 % für Anleihen und 40 % bis 55 % für Aktien. Wir präferieren aktuell bei Aktien im Umfeld nachlassenden Wachstums größere Werte mit stabilen Einnahmen (cash flow) und stetiger Dividendenrendite (Substanzwerte) gegenüber kleineren Werten. Diese werden erst dann wieder opportun, wenn das Lichtlein am Konjunkturhimmel wieder aufflackert. Zudem steht es unseres Erachtens außer Frage, dass die führenden Werte beim Trend der „Künstliche Intelligenz“ langfristig gute Chancen bieten. Kursrückgänge von rund 10 % sind zu nutzen („buy the dip“).
Die aktuellen Anleiherenditen bieten unseres Erachtens also eine gute Gelegenheit, sich das hohe Zinsniveau zu sichern. Selbst wenn die Fed die Zinsen auf einen Höchstwert von 5,5 % oder 6 % anhebt und einige Monate auf diesem Niveau belassen sollte, bevor sie schließlich zur Vermeidung einer Rezession die Zinsen wieder sehr deutlich senken muss, sollte z. B. der Gesamtertrag 5 bis 10-jähriger US-Staatsanleihen in der Größenordnung von 10 % bis 15 % liegen. Für europäische Anleihen gilt ein ähnlicher Denkansatz, aber auf niedrigerem Renditeniveau.
Lange haben wir auf ein attraktives Zinsniveau gewartet und über „Nullzinsen“ geschimpft. Jetzt sind die Zinsen und Renditen wieder da. Dies ist eine gute Möglichkeit zu investieren. Die See kann noch rau werden. Die Wogen zu glätten, um dann wieder mit im Wind zu segeln, ist nun unsere Herausforderung und Leidenschaft.